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Was wir brauchen - und was nicht

Es geht nicht mehr um Ziele. Es geht nicht darum, eine Richtung einzuschlagen, Probleme zu erkennen und zu beseitigen und eine Situation zu verbessern. Es geht ausschließlich darum, den Tanz ums goldene Kalb am Laufen zu halten. Es ist wichtig, abstrakte Gefahren und Risiken abzuschätzen, egal wie fern und konstruiert sie sein mögen, und in langen und aufwendigen Prozessen alles zu verhindern, was den Menschen das Leben und Arbeiten erleichtern könnte. Dabei ist jede noch so unsinnige bürokratische Zwischenstation eine willkommene Helferin der Unbeweglichen.
Gut die Hälfte der Theater muss inzwischen ohne die nötigen Meister zurechtkommen, einige Häuser haben niemanden mehr mit dieser Qualifikation und gehen auch bei Ausschreibungen leer aus. Bewerbungen: keine! Auch reißen sich die Nachkommen nicht gerade um die Meisterstellen, weil man spätestens nach Erreichen des Meisterbriefs mit dem operativen Geschäft fast nichts mehr zu tun hat. Man füllt Tabellen aus, prüft und wägt ab, schreibt es vor allem auf, legt es (meist) für immer ab und wartet. Falls mal etwas passiert, hat man alles so gemacht, wie es sich drei Anwälte in ernsten Runden und für ordentliche Honorare bei Kaffee und Keksen ausgedacht haben. Man übernimmt nicht mehr Verantwortung, sondern kümmert sich darum, dass im Haftungsfall das eigene Haus keinen Ärger bekommt.
Wer dann dennoch fürs Theater brennt, muss halt ein paar Stunden dranhängen. So steht es auch in den Ausschreibungen, und längst ist die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau in der Ausführung der Stellenanzeigen so etabliert, dass selbst die motiviertesten Anwärter schreiend-klagend das Weite suchen. 
Die, die den Beruf noch schön finden, sind entweder zu anderen Zeiten im Theater sozialisiert worden oder haben sich Freiräume geschaffen, in denen sie den bürokratischen Irrsinn von sich zu schieben. Copy-and-paste, besser aber, jemand anders besorgt das. Besser ein schlechtes Gewissen als drei Stunden sinnlos am Schreibtisch. Es passiert ja nichts. Theater sind die sichersten Betriebe mit den geringsten Unfallzahlen, seit Jahren. Daran hat übrigens auch die Verschriftung nichts geändert, es war schon immer so. 

Fachkräftemangel verlangt nach neuen Wegen
Wenn man ein ernsthaftes Interesse daran hätte, die Theater sicher und funktional zu halten, würde man auf die Souveränität der Mitarbeiter bauen, deren Qualifikation und Haltung stärken und ihnen dabei Türen öffnen, die sie dazu ermächtigen, die richtigen und verantwortungsvollen Entscheidungen zu treffen, statt ihnen die Regularien so lange vorzubeten, bis auch der letzte die Hosen so voll hat, dass er lieber auf den Posten verzichtet. Hochgelobt sind da die Aufrechten, die sich dennoch nicht entmutigen lassen. Genau die brauchen unsere Hilfe! Genau deshalb muss man von Zeit zu Zeit polemisieren und nicht jeden Wahnsinn unwidersprochen hinnehmen. 
Wenn man ernsthafte Probleme hat, überhaupt noch Fachkräfte oder auch schlicht Mitarbeiter zu finden, sollte man eventuell einmal neue Wege einschlagen oder die alten komplett unattraktiven löchrigen Straßen zumindest nicht weiter überstrapazieren. 
Es gibt aber allein eine ganze Reihe von Institutionen, die nur um ihrer selbst willen existieren, weil ihre Ziele eigentlich erreicht sind und die Ursachen ihrer Gründung nicht mehr vorhanden sind. Zu ihrer Zeit hatten sie berechtigte Forderungen und waren sinnvolle Institutionen. Aber sie wurden und werden nie fertig. Keine dieser Organisationen hat jemals gesagt: „Alles klar, Ziel erreicht, wir sehen uns woanders. Tschüüüß!“
Nein, mit immer neuen Auflagen wird die eigene Existenz gerechtfertigt, nur dass die Situation sich nicht mehr verbessert, sondern eher schlechter wird, weil die Dinge keinen Sinn mehr ergeben und das auch der letzte Mohikaner noch mitbekommt. 
Ich sage nur Ringtheaterbrand. Brandschutz wird gepflegt, als würde jeden Abend der Nachtwächter noch die Gaslaternen im Theater entzünden. Beim Arbeitsschutz (Ich spreche hier eindeutig nicht die Menschen an, die mit Verantwortung und Praxis reelle Gefahren abschätzen!) ist man nur noch zwei Schritte davon entfernt, die Risiken einer Kantinengabel minutiös einzugrenzen und Empfehlungen für die dauerhafte Löffelnutzung mit pürierten Spaghetti auszusprechen. 
Könnte man doch die Energie, die für das Verhindern und in die Ängste vor Haftung fließen, zu konstruktiven Entwicklungen nutzen? Wir hätten es nicht nur einfacher, wir wären auch zufriedener.
Eine letzte Initiative beschäftigt sich aktuell damit, die sicheren und gut betreuten Maschinerien der Bühnentechnik zu „überwachungsbedürftigen Anlagen“ zu erklären – wie Aufzüge an Flughäfen. Das „Bedürfnis“ wird übrigens immer von Leuten festgestellt, die ein Theater nicht von innen kennen. Ein komplett funktionierendes System mit eigenen Sachverständigen und Experten würde abgeschafft werden. Es würden Theater mit einer deutlichen finanziellen Mehrbelastung und längeren auch mehrmals jährlichen Schließzeiten wegen der „notwendigen“, aber eigentlich völlig unnötigen besonderen Prüfungen belastet werden. 
Um sich Aufträge zu sichern, ist manchen Institutionen jedes Mittel recht, auch das, mit falschen Informationen Gefahren und Sicherheitsrisiken zu generieren, wo keine sind. Wo sind denn die Kämpfer für die Vernunft? Wo sind die Stimmen, die sagen: „Es reicht!“ Man könnte noch längere Zeit so weitermachen, aber wo soll das hinführen? Wir brauchen Lösungen. 

Qualifikation für kompetenzbasiertes Handeln
Und dabei war das alles nur die Vorrede. Wir haben ja schon davon gesprochen, was wir brauchen und was wir bekommen. Davon, dass die Entwicklung einer Branche am besten durch die Menschen der Branche vorangetrieben wird, hat man in Europa schon Wind bekommen. So können von Branchen Qualifikationen kreiert werden, die ebenbürtig zu offiziellen Weiterbildungen sind, weil sie alle grundlegenden Kriterien erfüllen. Diese wurden allgemein festgelegt und sind sogar in einer DIN/EN ISO 17024 geregelt, zumindest die Zertifizierungsstandards. Das nehmen deutsche Institutionen natürlich nicht gern auf, weil das an ihrer Existenz und Notwendigkeit zweifeln lässt. Sie kennen nur eine Richtung und mehrere Zielvorgaben – mehr von dem Gleichen! Auf keinen Fall etwas Neues zulassen! (Subtext: Jede Entwicklung seitens der Praktiker ist eine Bedrohung für meinen warmen Schlafplatz!)
Theater wollen sicher und effizient arbeiten, vor allem wollen sie aber spielen! Und das werden sie auch, und zwar völlig unabhängig davon, ob nach Maßgabe der Verordnungen und Regeln noch ausreichende Fachleute zur Verfügung stehen oder nicht. Heute ist es schon so, dass außerhalb öffentlich getragener Veranstaltungen die Meisterpflicht nicht mehr ausreichend eingehalten werden kann. Von Problemen und Ansagen habe ich schon gehört, von Ausfällen bisher nur sehr wenig. Unseren Schätzungen zufolge – Statistiken gibt es da aus mehreren Gründen natürlich nicht – dürfte es sich um gut die Hälfte der Vorstellungen handeln, die täglich in deutschen (nicht unbedingt öffentlich getragenen) Theatern und auf Bühnen jeder Art stattfinden.
Die intrinsische Motivation zu spielen ist größer als die Angst vor der nicht eingehaltenen Verordnung. Draußen wartet das Publikum, das endlich wieder zu uns kommt. Nicht spielen geht nicht. So was verstehen nur Theaterleute. 
Was kann man tun? Man bildet aus. Man schafft eine Qualifikation, die es motivierten und gestandenen Theaterleuten ermöglicht, in ihrem Haus ein Höchstmaß an Professionalität und Sicherheit zu gewährleisten. Sicherheit entsteht nicht durch Angst, sondern durch Wissen und souveränes kompetenzbasiertes Handeln.
Wen wollen wir haben? Jemanden, der alle Paragrafen hersagen kann, oder jemanden, der in einer schwierigen Situation beraten kann und eine Entscheidung trifft, die dem Haus, der Produktion und den Menschen nutzt?
Wir benötigen Fachleute, die das Theater kennen, gern mit den Menschen arbeiten, die Kunst und Theater ermöglichen wollen und dabei kompetent und kenntnisreich zwischen Kunst und Technik vermitteln können. Menschen, die die Regeln kennen, aber auch abwägen können, ob man sie in der Bandbreite anwenden muss und sollte, oder ob man das Gleiche erreicht, indem man sinnvolle Verabredungen trifft. Es geht um Kreativität und Verantwortung. Das ist das Theater und das macht Theaterarbeit eventuell (wieder) attraktiv. 
Es geht um Selbstermächtigung, wieder einmal. Das ist natürlich schwieriger und erfordert mehr Mut als das Herunterleiern von Regeln und Verordnungen, die ohnehin ihre Bedeutung verlieren, wenn sie nur noch realitätsferne Drohkulissen aufbauen und im Alltagsgeschäft vieler aufgrund fehlender Kapazitäten nicht mehr erfüllt werden können.
Wir haben die tollen Leute auf den Bühnen, die, die wir mit ihrer vertrauten Umgebung noch besser vertraut machen können und deren Einblicke wir mit Wissen und Erfahrung erweitern wollen und deren Potenziale wir zum Nutzen der Häuser und ihrer eigenen Entwicklung ausschöpfen möchten, um auch ihnen eine Perspektive bei uns zu geben. 
Wir haben eine Fortbildung geschaffen, um genau diese Menschen zu stärken und ihnen zu ermöglichen Verantwortung zu übernehmen und wir werden sie etablieren, gegen Widerstände und Kolportagen, weil sie hilft und weil sie gut und praxisnah ist: Es ist der „Berufsspezialist für Theatertechnik“.

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